Jugendhilfe
Zur besonderen Bedeutung des Luftsports in der Jugendhilfe
Luftsport mit seinen vielfältigen Varianten (z.B. Drachenbau, Modellbau, Segelfliegen, Ballonfahren, Fallschirmspringen, Ultraleichtfliegen, Hängegleiten, Gleitsegeln) bietet für jeden entsprechend seiner individuellen Interessen und Fähigkeiten vielfältige Möglichkeiten zur Bewegung, Spiel und Sport. Diese Sportarten sind so unterschiedlich, daß sie in ihrer jeweiligen Ausprägung eigentlich nur noch eins gemein haben: das Medium Luft. Dennoch weisen sie gemeinsame Züge auf, die wir stichpunktartig darstellen.
Alle Luftsportarten
- sind reine Natursportarten
- können nur im Freien ausgeführt werden
- haben einen unmittelbaren Bezug zur umgebenden Landschaft,
- sind in ihrer Durchführung vom Wetter und dem Wissen darüber abhängig
- sind praktisches Handeln
- sind Vereinssportarten
- fordern – neben vielen anderen Bereichen – übergreifendes Lernen und Wissen heraus z.B. in Fächern wie:
Physik » Mechanik, Aerodynamik, Wetterkunde, Funkelektronik, Kompaß …
Mathematik » Vektorrechnung, Maßeinheiten, Geometrie …
Biologie » Vogelflug, Insektenflug, Umweltschutz …
Technische Geschichte » Entwicklung von Luftfahrtgerät …
Werken/Technik » Werkzeugkunde, Werkstoffkunde, Handhabung von Geräten …
Geschichte » Luftarchäologie, Luftfahrt in der Politik …
Technik » Windkanal mit Messungen, Flugmodellbau – Modellflug …
Geographie » Luftbild und Karte, Umgang mit Kompaß und Karte, Kartenprojektionen …
Arbeitslehre » Arbeitsplätze Luftfahrtpersonal, Flugzeugbau,Instandhaltung, Flughafendienste, …
Englisch » Internationale Fliegersprache …
Kunsterziehung » Malwettbewerbe, ästhetische Gestaltung von Objekten unter funktionalen Gesichtspunkten …
Chemie » Klebstoffe, Klebstoffverbindungen, Gase, Umweltschutz …
Gesetzeskunde » Luftrecht …
Erste Hilfe
Die unmittelbare Erfahrung der Natur fördert die Naturbeobachtung. Durch das Erleben und das Sich-Zurechtfinden in der Natur mit all ihren Gesetzmäßigkeiten werden Jugendliche sensibilisiert für Abläufe und Bedingungen der Natur und der Umwelt. Gleichzeitig werden sie sich ihrer eigenen Rolle in der Natur bewußt und lernen, sich in die natürlichen Abläufe einzufügen. Sie lernen, Natur und Umwelt zu respektieren. Schwerpunkte ergeben sich aus dem Bereich der Ökologie, der Ökonomie und der Geschichte aufgrund der örtlichen Gegebenheiten und der traditionellen Landschaften.
Allen Luftsportarten ist zu eigen, daß sie
- nur in Eigentätigkeit durchgeführt werden können
- Körper und Geist gleichermaßen – den ganzen Menschen – er/fordern
- mit einem gewissen Maß an manuellen Fertigkeiten verbunden sind
- alle Sinne fordern (unter sich ständig ändernden Bedingungen müssen sensorische Informationen über Sachverhalte geliefert, ausgewertet und interpretiert werden, damit Entscheidungen getroffen werden können, die wiederum sofort in Handlungen umgesetzt werden)
- vielfältige, individuell bestimmbare Herausforderungs- und Bewährungssituationen bieten
- zur Selbsterfahrung herausfordern
- Eigeninitiative aktivieren
- zum Selbstausprobieren anregen
- geeignete Übungsfelder darstellen, um seine eigenen vielfältigen Anlagen und Fähigkeiten zu entdecken, erproben und zu stärken
- Möglichkeiten bieten, die eigene Leistungsfähigkeit zu erkennen und zu trainieren
- den Jugendlichen das Maß der eingebrachten Leistung selbst bestimmen lassen
- Neugier und Forschungstrieb herausfordern
- kein Ziel bindend vorschreiben, jeder setzt es sich selbst
- Gelerntes direkt umsetzen lassen
- nur durch eine schrittweise Annäherung gelernt werden können
- die Auseinandersetzung mit sportimmanenten und an sich selbst gestellte Aufgaben provozieren
- Situationen bieten, in denen Erfolg und Mißerfolg selbst festgestellt und korrigiert werden kann
- bis zu einem gewissen Maß Lernen durch trial & error zulassen
(Die jeweiligen Ausprägungen können von Sportart zu Sportart variieren.)
Im individuellen Bereich führt dies dazu, daß durch die im Luftsport gemachten Erfahrungen das Bewußtsein (das Gefühl und die Kenntnis) des eigenen Wertes (der eigenen Körperlichkeit, des eigenen Geistes) entwickelt werden kann. Individuelle und soziale Verhaltensweisen werden angeregt und ausgebildet:
- Angst wird als natürliche, wertfreie Reaktion erfahren und der Umgang damit gelernt.
- Der ’spielerische‘ kreative Umgang mit Problemen führt leichter zur Lösung als ausschließlich ergebnisorientiertes Tun: Mißerfolge werden in diesem freiwilligen Rahmen zu Erfahrungen und bieten leichter Motivation für neue Versuche.
- Zur Bewältigung von unbekannten Situationen müssen neue Strategien entworfen und erprobt werden.
- Auffassungsgabe, schöpferische Kräfte, Konzentrationsfähigkeit und Urteilsfähigkeit werden geschult.
- Die Auseinandersetzung mit den spezifischen Gesetzmäßigkeiten dieser Sportarten führt zu planvollem, umsichtigem und ggf. schnellem Handeln.
- Die Durchführung der jeweiligen Sportart erfordert ein hohes Maß an Selbstdisziplin
- Lernen, d.h. gedankliche Auseinandersetzung erfolgt freiwillig.
- Die spezifischen körperlichen Anforderungen führen zu einer Verbesserung der Körperwahrnehmung, Körperbeherrschung und Koordinationsfähigkeit.
Bewußtes, problemorientiertes Denken, was direkt in Handlungen umgesetzt wird, führt zu einer Verstärkung der Eigeninitiative, einer Entwicklung der Entschlußkraft. Aus der kritischen Selbst-beobachtung folgt die Selbstentdeckung und Selbstvergewisserung. Insgesamt trägt dies zu mehr Selbstbewußtsein und Selbstvertrauen, zu einer Verbesserung der Lebenstüchtigkeit und somit zu einer besseren Orientierung, Entwicklung und Stabilisierung der gesamten Persönlichkeit/Identität bei. Die intensive Selbsterfahrung im ‚Wettkampf mit sich selbst‘ fördert Durchhaltevermögen, Selbstüberwindung und Einsatzfreude.
Flugsport als Gruppensport
Die Sportarten, die nur in einer Gemeinschaft durchgeführt werden können – Segelflug, Freiballon-fahren, Fallschirmspringen – fordern (zusätzlich zu den o.g. ‚Effekten‘) im sozialen Bereich eine Reihe von Entwicklungsmöglichkeiten heraus.
Im folgenden wollen wir an einem Beispiel kurz die pädagogischen Implikationen umreißen.
Luftsportarten wie Segelfliegen, Ballonfahren, Modellfliegen… stellen „eine ständige Herausforderung an Körper und Geist, an Technik und Können, an Sportgeist und Charakter“ dar. „Zuverlässigkeit der Technik und das Verantwortungsbewußtsein aller am Flugbetrieb beteiligten Personen, eingebettet in das Geschehen und die Bedingungen der Umwelt“ machen die Luftsportarten zu einer Herausforderung für die gesamte Persönlichkeit. Luftsportliches Tun weist als Medium für die Jugendbildungsarbeit einige wichtige Merkmale auf. An einem Beispiel, dem Segelflug, sei dies demonstriert. Ähnliches gilt natürlich für andere Luftsportarten wie Ballonfahren etc.
Segelflug
- setzt Gemeinschaftsleistung voraus:
- Segelflugzeuge können nur gemeinschaftlich aus- und eingeräumt werden
- Segelflugzeuge können nur gemeinschaftlich auf- und abgerüstet werden
- Segelflugzeuge können nur gemeinschaftlich gewartet, repariert und transportiert werden
- es sind 4 – 5 Helfer nötig, um ein Segelflugzeug in die Luft zu bringen (Windenfahrer, Startleiter, Helfer, Seilwagenfahrer, Rückholer …).
- Jeder ist auf den anderen angewiesen, von ihm abhängig. Jeder wird gebraucht.
- erfordert gemeinsame verantwortungsvolle Organisation
- verlangt gute Absprachen untereinander
- baut auf einer funktionellen Aufgabenteilung auf
- verlangt permanente und koordinierte Kommunikation
- erfordert zielorientiertes Handeln
- setzt Teamarbeit voraus.
„Luftsportliches Tun“ bedeutet u.a., daß
- alle Teilnehmer für das gleiche Ziel arbeiten
- durch gemeinsames Schaffen und die gemeinsame Überwindung von Schwierigkeiten die Bedeutung der Gemeinschaft gestärkt wird
- positive soziale Erfahrungen erlebt werden
- gruppendynamische Prozesse angeregt/provoziert werden
- soziale Erfahrungen durch die Abhängigkeit vom gemeinschaftlichen Tun ‚automatisch‘ gemacht werden
- durch das Einbringen und Einordnen der eigenen Person in die Gruppe, Möglichkeiten und Schwierigkeiten im Zusammenleben erkannt und akzeptiert werden, bzw. geändert werden können
- der eigene Wert erkannt wird
- unterschiedliche Anschauungen und Lebensweisen kennengelernt werden und so zu neuen Impulsen und Denkanstößen führen
- es leichter fällt, andere in ihrem ‚So-Sein‘ zu tolerieren und akzeptieren
- die eigene soziale Rolle gefunden werden kann
- soziale Anerkennung direkt erfahren wird
- soziale Geborgenheit erlebt wird …
Luftsportarten als Gruppensportarten ermöglichen Erfahrungen, aus denen heraus sich ein Gemeinschaftsbewußtsein, nämlich Rücksichtnahme und Verantwortung für die Gemeinschaft, entwickeln kann.
Soziales Handeln und Engagement für andere (» politisches Handeln) wird erfahren und eingeübt. Das ‚Sich-auf-Andere-verlassen-können‘ und -müssen führt zu mehr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die der Anderen. Solidarität, Toleranz und Hilfsbereitschaft wird ’nebenbei‘ gelernt und führt somit zu einem verantwortungsbewußten Umgang mit sich selbst und anderen Personen und Dingen, zum Abbau von Vorurteilen.
So wird eine erzieherische Wirkung erzielt, bei der die so erlernten Fähigkeiten und Eigenschaften langfristig und weit über den eigentlichen Segelflug hinausreichen. Auch darf nicht übersehen werden, daß für viele begeisterte ‚Flieger‘ eine Form der vorberuflichen Fixierung erfolgt: Viele Jugendliche wählen später einen – nicht nur akademischen – Beruf in der Luft- oder Raumfahrt.
Aufgrund seiner vielfältigen Wirkungen kann Luftsport in den Bereichen Prävention (Drogen, Alkohol, Gewalt…) und Therapie wichtige Beiträge leisten. Luftsport bietet die Chance, deviante Verhaltensweisen für Jugendliche durchschaubar zu machen, sie aufzubrechen und Veränderungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Durch positiv erlebte Sportsituationen und und Gruppenerlebnisse können Fairneß, Toleranz und Akzeptanz gegenüber Schwächeren gelernt, das eigene Selbstwertgefühl gestärkt und Interesse an Gemeinsinn, Verantwortlichkeit und persönliches Engagement geweckt und stabilisiert werden.
Im Bereich der internationalen Jugendarbeit bietet Luftsport mit seinem gemeinsamen Tun, Erleben und aufeinander angewiesen sein mehr als viele andere Sportarten die Möglichkeit weit über Sprache hinaus gruppendynamische Prozesse zu initiieren.
Die Möglichkeiten dieser Sportarten haben wir in der Vergangenheit noch nicht immer so ausnutzen können, wie dies möglich wäre, z.B. im Bereich ‚Mädchenarbeit und junge Frauen‘, im Bereich ‚Abenteuersport, im Bereich ‚Umwelt- und Naturschutz, um nur ein paar zu nennen. Neue Konzepte sind geplant und werden auch ein Stück weit wegweisend für neue Freizeiten mit Jugendlichen sein.